Werbung Klimafolgenforscher zweifeln offensichtlich an der politischen Glaubwürdigkeit beim EU-Emissionshandel Forschungs-Mitteilungen Ökologie 31. Mai 2024 Hinweis: Die Bildrechte zu den Beitragsfotos finden Sie am Ende des Artikels Politische Glaubwürdigkeit entscheidet über den Erfolg des EU-Emissionshandels Unternehmen wollen jetzt schon CO₂-Zertifikate im vorauseilendem Gehorsam kaufen zwei politische Reformen haben den CO₂-Steuerpreis verzehnfacht (WK-intern) – Damit die Kohlenstoffpreise im EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) hoch genug sind, um Emissionsminderungen langfristig effizient anzureizen, ist eine große politische Glaubwürdigkeit entscheidend. Ein Team von Forschenden des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt, dass zwei aufeinanderfolgende ETS-Reformen nicht nur durch eine Verschärfung der Emissions-Obergrenze den Preis von unter 10 Euro pro Tonne CO₂ im Jahr 2017 auf etwa 80 Euro pro Tonne 2022 angehoben haben, sondern auch durch ein stärkeres politisches Bekenntnis zum ETS. Dies führte dazu, dass Unternehmen angefangen haben, vorausschauender zu handeln und kurzfristig weniger CO₂ auszustoßen, um Zertifikate für eine spätere Verwendung aufzubewahren. „Der Preis für den Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ ist in der Vergangenheit stark gestiegen; in den letzten fünf Jahren hat er sich durch zwei politische Reformen knapp verzehnfacht. Unsere Analyse deutet darauf hin, dass die Reformen nicht nur die ETS-Regeln direkt verändert haben, sondern auch die langfristige Glaubwürdigkeit des ETS erhöht und damit Unternehmen dazu gebracht haben, ihr Marktverhalten an den langfristigen Klimazielen auszurichten“, erklärt Sitarz, PIK-Wissenschaftler*in und Erstautor*in der in Nature Energy veröffentlichten Studie. „Alles, was der langfristigen Glaubwürdigkeit von Klimazielen schadet, könnte im Gegenzug dazu führen, dass die CO₂-Steuerpreise im ETS kurzfristig wieder einbrechen und unzureichend in Klimaschutz investiert wird.“ Das EU-ETS legt eine Obergrenze und damit einen Preis für Treibhausgasemissionen aus Kraftwerken, großen Industrieanlagen und dem Luftverkehr fest und deckt etwa 40 Prozent der gesamten Emissionen in der EU ab. Die Obergrenze sinkt jedes Jahr und wird voraussichtlich um das Jahr 2040 herum bei Null liegen. Eine wichtige Eigenschaft des ETS ist, dass Emissionszertifikate angespart werden können: Wenn Unternehmen in der Zukunft mit sehr hohen CO₂-Vermeidungskosten rechnen, können sie ihre Emissionen zeitnah reduzieren und die ungenutzten Emissionszertifikate für eine spätere Verwendung aufbewahren. Auf diese Weise werden aktuelle Preise mit künftigen Knappheiten verknüpft, was zu dynamischer Effizienz führen sollte: Emissionen werden dann reduziert, wenn es am günstigsten ist. EU-ETS Reformen stärkten nicht nur Emissionsobergrenze, sondern auch langfristige Glaubwürdigkeit der Klimaziele Um zu analysieren, wie sich vorausschauendes Handeln auf die CO₂-Steuerpreise im EU-ETS während des letzten Jahrzehnts ausgewirkt hat, modellierten die Forscher die Kohlenstoffpreise, die sich aus den Emissionsobergrenzen ergeben, unter zwei verschiedenen Modellannahmen. In einem Fall wurde davon ausgegangen, dass die Unternehmen vorausschauend handeln und die künftige Knappheit von Zertifikaten berücksichtigten; im zweiten Fall wurde angenommen, dass sich die Unternehmen auf kurzfristige Entwicklungen konzentrierten. Der untersuchte Zeitraum umfasste zwei große ETS-Reformen: die Reform der Marktstabilitätsreserve MSR im Jahr 2018 und das Klimaschutzpaket „Fit for 55“ im Jahr 2021. Die Forschenden stellten zunächst fest, dass vor der Reform von 2018 die beobachteten Steuerpreise eher mit den Simulationsergebnissen für kurzfristig handelnde Unternehmen übereinstimmten. „Die Firmen zweifelten wahrscheinlich an der langfristigen Glaubwürdigkeit der Klimapolitik und handelten hauptsächlich im Hinblick auf die kurzfristige Emissionsobergrenze“, erklärt Pietzcker, PIK-Wissenschaftler*in und Autor der Studie. Die Forschenden stellten dann fest, dass die Steuerpreisveränderung im Zuge der EU-ETS-Reform 2018 nicht allein durch die Änderung der Emissionsobergrenze selbst erklärt werden kann. Zusätzlich müssen die Unternehmen auch begonnen haben, vorausschauender zu handeln und die viel strengeren Emissionsobergrenzen in der fernen Zukunft zu berücksichtigen. „Nach der Reform stiegen die Steuerpreise in der realen Welt stark an. Im Modell bewirkte die Änderung der Emissions-Obergrenzen jedoch nur einen geringen Steuerpreisanstieg, wenn wir von Unternehmen ausgingen, die kurzfristig handeln ohne langfristige Knappheiten zu berücksichtigen. Bei einer Umstellung des Modells auf langfristig handelnde Akteure konnten wir jedoch den real beobachteten Steuerpreisanstieg in unserem Modell reproduzieren“, sagt Pietzcker. Das Forschungsteam argumentiert, dass das politische Kapital, das 2017/2018 in die EU-ETS-Reform investiert wurde, die langfristige Glaubwürdigkeit des ETS und der Klimaziele so sehr gestärkt hat, dass die Unternehmen ihr Marktverhalten an der erwarteten langfristigen Knappheit von Emissionszertifikaten ausrichteten. „Die nochmalige Verschärfung der ETS-Obergrenzen im ‚Fit for 55‘-Paket ließen die beobachteten Steuerpreise in den Jahren 2022 und 2023 auf rund 80 Euro pro Tonne CO₂ ansteigen, was im Einklang mit den Modellergebnissen für vorausschauend handelnde Akteure steht“, so Pietzcker. Die Ergebnisse haben wichtige politische Implikationen, erklärt Pahle, ebenfalls Autor*in der Studie: „Politische Entscheidungsträger sollten bedenken, dass ein Preisrückgang nicht nur signalisieren kann, dass Emissionsreduzierungen weniger kosten, sondern auch darauf hindeuten könnte, dass Unternehmen die langfristige Emissions-Obergrenze weniger glaubwürdig finden. Der jüngste Rückgang der CO₂-Steuerpreise könnte auch auf zweiteres zurückzuführen sein. Es ist deshalb ratsam, die bestehenden Mechanismen zur Stabilisierung des Emissionshandel-Marktes zu überarbeiten: sie sollten darauf ausgerichtet werden, den CO₂-Steuerpreis im Fall sinkender Glaubwürdigkeit zum Beispiel durch zeitnahe Verknappung des Angebots zu stabilisieren.“ Artikel: EU carbon prices signal high policy credibility and farsighted actors. Nature Energy. [DOI: 10.1038/s41560-024-01505-x] Wer wir sind: Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist eines der weltweit führenden Institute in der Forschung zu globalem Wandel, Klimawirkung und nachhaltiger Entwicklung. Natur- und Sozialwissenschaftler erarbeiten hier interdisziplinäre Einsichten, welche wiederum eine robuste Grundlage für Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft darstellen. Das PIK ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. PM: PIK Weitere Beiträge:Stefan Kapferer zum Agora-Gutachten zum Kohleausstiegthyssenkrupp Uhde kooperiert international für schwimmende grüne FPSO-AmmoniakanlagePolitiker*innen und G7 wollen GLOBAL eine unberührte Natur wieder herstellen