Werbung Die EU und die Leopoldina-Stellungnahme argumentieren großteils am akuten Problem vorbei Aktuelles Erneuerbare & Ökologie Forschungs-Mitteilungen News allgemein 9. März 2022 Hinweis: Die Bildrechte zu den Beitragsfotos finden Sie am Ende des Artikels Die EU-Kommission hat gestern ihren Plan für eine stärkere Unabhängigkeit vom russischen Gas vorgelegt. Ukrainekrise Energieversorgung Lösungsvorschläge (WK-intern) – Gleichzeitig informierten die Wissenschaftler der Leopoldina in einer Stellungnahme von ihrer Sichtweise der Situation. Beide präsentieren vor allem mittelfristige Maßnahmen zur Bewältigung der Krise und bleiben bei den Sofortmaßnahmen vage, dabei muss es jetzt um Notfallpläne für den nächsten Winter gehen. Die mittelfristigen Pläne liegen schon längst mit dem Fit-for-55 Paket vor – hier fehlt es an den Kompetenzen der EU, diese auch verbindlich in den Mitgliedstaaten durchzusetzen. Das Instrument dazu – eine Verschärfung der Governance-Verordnung – steht weiterhin nicht auf der Agenda der EU. Es wird deutlich, dass das Setzen auf langfristige Anpassung durch das ETS und das Vernachlässigen verbindlicher Maßnahmen im Bereich erneuerbaren Energien Ausbau und Energieeffizienz sich jetzt rächen. Der Ausbau von Wärmepumpen allein wird hier nicht reichen, wenn nicht auch die Effizienzmaßnahmen, allen voran die Dämmung im Altbaubereich, vorangetrieben werden. Hier liegen die wirklichen Sparpotentiale, die man seit Jahren vernachlässigt. Die Diversifizierung der Energieversorgung wird spätestens (wenn man von den Energiekrisen in den 1970er/80er Jahren absieht) seit 22 Jahren von der EU-Kommission gefordert, und fast nichts ist passiert. Bereits in ihrem Green Paper “Towards a European strategy for the security of energy supply” aus dem Jahr 2000 weist sie darauf hin, dass die Importabhängigkeit zu 40 Prozent vom russischen Gas ein Risiko darstellt. Diese Zahl hat sich seitdem, auch durch die Gaskrisen 2006 und 2007, nicht verändert. Kurzfristig werden wir uns für die nächsten zwei Winter auf einen Notfall in der Gasversorgung einstellen müssen. Insgesamt lassen sich die Erdöl- und Steinkohleimporte leichter durch andere Anbieter auf dem Weltmarkt ersetzen, wenn auch zu höheren Preisen. Im Vergleich zu Gas besteht bei diesen Gütern zudem eine global verfügbare Transportinfrastruktur. Eine Substitution russischen Erdöls und russischer Steinkohle wird zwar zu höheren Kosten, nicht aber zu Versorgungslücken führen. Auch steht im Bereich des Öls noch die Ölreserve der Bundesregierung zur Verfügung. Schwieriger wird es beim Gasimport. Gas ist ein stark saisonales Gut, da es in Deutschland zu rund 50 Prozent für das Heizen privater und kommerzieller Räume genutzt wird. Rund 35 Prozent der Nutzung entfallen auf die Industrie, und nur rund 15 Prozent entfallen auf die Stromproduktion, bei der keine akute Versorgungskrise droht. Ebenfalls besteht keine umfassende Transportinfrastruktur, die ohne weiteres als Alternative zu den russischen Pipelines genutzt werden könnte Daher gehen auch die Rufe nach Verlängerung der Laufzeiten von Kern- und Kohlekraftwerken am Problem kurzfristiger Versorgungsengpässe in der Industrie und im Wärmesektor vorbei. Bei der kurzfristigen Ersetzung des Gases kann bei der Kalkulation der bisherigen Maximalwerte an Lieferung von norwegischem und algerischem Erdgas inklusive der bisher im Januar und Februar möglichen verfügbaren Menge an LNG auf dem Weltmarkt schätzungsweise etwa 74 Prozent des Erdgasbedarfs gedeckt werden. Um über den nächsten Winter zu kommen, käme es dann vor allem auf die Erdgasspeicher an. Die Pegel der eh schon stark geleerten deutschen Speicher sind im März noch weiter auf nur noch etwa 25 Prozent gefallen. Vor allem sind die Speicher des russischen Unternehmens Gazprom, das rund ein Viertel der deutschen Speicher besitzt, mit 5 Prozent Füllung fast leer. Nur annähernd volle Speicher könnten zur Überbrückung des Winters maßgeblich beitragen. Die Kommission wie auch die Bundesregierung denken verstärkt über eine Regulierung der Befüllung nach, während sich die Speicher immer mehr leeren und diese für den Winter 2022/23 zu spät kommen wird. Speicherbesitzer sind Marktakteure, die ihr Gas jetzt mit Gewinn verkaufen und ihre Speicher ohne gesetzliche Regelung sicher nicht mit astronomisch teurem Gas, das mit einem Embargo noch knapper wird, füllen werden. Die Hoffnung der Kommission, dass die Speicherbesitzer bereits jetzt schon so agieren sollten, als wäre eine Gesetzgebung bereits in Kraft, scheint dann doch naiv. Wenn Deutschland konstant höhere Lieferungen aus Norwegen und Algerien, ein konstant hohes LNG-Volumen und randvolle Speicherkapazitäten hätte, dann würde nur ein kleiner Prozentsatz an Gasnachfrage nicht abgedeckt werden können. Wesentlich wahrscheinlicher ist jedoch, dass eine oder sogar alle der optimistischen Annahmen nicht so wie erhofft eintreten und die Lücke wesentlich größer wird. Reicht das Erdgas nicht aus, dann wird das Abschalten der Gasversorgung von den Netzbetreibern nach festgelegten Prioritäten gehandhabt. Zuerst die Industrie und erst zuletzt die privaten Gaskunden. Die so entstehenden Kosten für ein Abschalten der Industrie würden Deutschland sehr teuer kommen. Die Industrie und die Bevölkerung sollten bereits jetzt auf den Winternotfall eingestellt werden. Die Leopoldina sagt zu den kurzfristigen Maßnahmen nicht viel. Ihr Hinweis auf den jetzigen Ausbau der Wasserstoffwirtschaft wird die Engpässe bei erneuerbarem Strom und Erdgas nur verschärfen. Die EU-Kommission präsentiert Pläne für Versuche, die Energiepreise nicht weiter steigen zu lassen und Unternehmen finanziell unter die Arme zu greifen. Eine stärkere staatliche Regulierung der Gasinfrastrukturen wird kurzfristig weder die Speicher füllen noch die Preise sinken lassen. Was benötigt wird ist aber eine Verminderung des Gasverbrauchs vor allem bei den Haushalten, ohne dass der Stromverbrauch durch den Einbau von Wärmepumpen ohne Wärmedämmung in die Höhe schießt und unsere Stromnetze und das Einkommen der Haushalte überlastet. Professorin Michèle Knodt Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt, Arbeitsbereich Vergleichende Analyse politischer Systeme und Integrationsforschung PM: TU Darmstadt Weitere Beiträge:TenneT sichert im gesamtgesellschaftlichen Auftrag die Stromversorgung BayernsUmweltminister Franz Untersteller überreicht Fraunhofer ISE die Auszeichnung »Ort voller Energie«Technical Tour Wasserstoff: Exklusive Einblicke hinter die Kulissen: Exklusive Einblicke hinter die ...