Werbung


DIW-Vereins Berechnungen: Mehr Migration könnte Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft deutlich erhöhen

DIW-Vereins Berechnungen: Mehr Migration könnte Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft deutlich erhöhen
Hinweis: Die Bildrechte zu den Beitragsfotos finden Sie am Ende des Artikels

Vereinsforschung: Die deutsche Wirtschaft steht aufgrund des demografischen Wandels und des Ausscheidens der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt vor einem zunehmenden Arbeits- und Fachkräftemangel.

(WK-intern) – Dieser wird das Produktionspotenzial der deutschen Wirtschaft erheblich einschränken.

Das inländische Steigerungspotenzial zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs ist nur gering, so dass der Migration eine zentrale Rolle zufällt.

Bereits seit 2023 wird der Aufbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung lediglich durch ausländische Staatsangehörige getragen.

  • ausländische Staatsangehörige!?

Aktuelle Berechnungen zeigen, dass ohne Migration die Wachstumsrate des Potenzials von derzeit lediglich 0,4 Prozent rasch auf null sinken würde. Um die Potenzialrate bis 2029 wieder zu ihrem langfristigen Mittelwert von 1,1 Prozent (dem Durchschnitt über den Zeitraum von 2004 bis 2023) zu heben, wäre den Berechnungen zufolge eine Zuwanderung von 1,5 Millionen Erwerbspersonen notwendig. Um die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Drittstaaten attraktiver zu machen, ist das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Um den positiven Effekt ausländischer Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt und das Potenzial der deutschen Wirtschaft aber weiter zu stärken, müssen politische Maßnahmen wie der Abbau von bürokratischen Hürden bei der Visaerteilung und der Anerkennung von Qualifikationen vorangetrieben werden. Zudem ist es notwendig, die Sprachkenntnisse und Weiterqualifizierungen von Migrant*innen zu fördern, um ein Missverhältnis zwischen dem Arbeitsangebot und -bedarf zu vermeiden.

Die deutsche Wirtschaft steht vor einer bedeutenden Herausforderung: Der Arbeits- und Fachkräftemangel droht zunehmend zum limitierenden Faktor für das Produktionspotenzial zu werden. Das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft setzt sich aus den Faktoren Arbeit, Kapital und der Faktorproduktivität zusammen – letztere bestimmt, wie effizient diese Ressourcen genutzt werden, um Wirtschaftsleistung zu erzeugen. Indikatoren wie eine niedrige Arbeitslosenquote und eine hohe Zahl an offenen Stellen deuten seit etwa 2015 darauf hin, dass der Faktor Arbeit immer stärker ausgelastet ist. Die Babyboomer-Generation – die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre – erreicht nun zunehmend die Regelaltersgrenze und dürfte damit aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Allein die demografische Alterung führt somit dazu, dass das inländische Erwerbspersonenpotenzial im Status quo zwischen 2025 und 2029 im Durchschnitt voraussichtlich um etwa 300 000 Personen pro Jahr zurückgeht. Diese Entwicklung dürfte den Arbeits- und Fachkräftemangel weiter verschärfen.

Angesichts dieser demografischen und wirtschaftlichen Trends ist zu erwarten, dass die Wachstumsrate des deutschen Produktionspotenzials, das zwischen 2015 und 2023 bei durchschnittlich 1,2 Prozent lag, auf lediglich 0,4 Prozent zwischen 2025 und 2029 schrumpfen wird.infoAbzusehen ist, dass der Beitrag aller Produktionsfaktoren zurückgehen wird. Der Beitrag des Arbeitsvolumens, also der Gesamtheit der geleisteten Arbeitsstunden, dürfte sogar negativ werden. Diese sinkende Wachstumsrate des Potenzials bedeutet, dass die Fähigkeit, zusätzlichen Wohlstand zu schaffen und diesen gerecht zu verteilen, zunehmend eingeschränkt wird. Vor diesem Hintergrund wird die Stabilisierung des Produktionspotenzials, insbesondere durch eine Steigerung des Arbeitsvolumens, in den kommenden Jahren zu einer zentralen Herausforderung für die deutsche Wirtschaft.

Eine Sicherung des inländischen Arbeitsvolumens kann insbesondere zwei Bevölkerungsgruppen in den Fokus nehmen: Frauen und Personen am Ende des Berufslebens. Ihre Partizipationsquoten haben zwar über die letzten Jahre stetig zugelegt, liegen allerdings noch immer unter derjenigen der Männer beziehungsweise jüngerer Alterskohorten.infoZudem weisen sie eine höhere Teilzeitquote auf.info Politikmaßnahmen wie die Ausweitung von bezahlbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eine Reform des Ehegattensplittings sowie die Schaffung von Arbeitsanreizen für Ältere stellen hier zentrale Stellschrauben dar. Dennoch ist das Steigerungspotenzial des inländischen Arbeitsvolumens begrenzt und wird allein wohl nicht zu einer Stabilisierung des Produktionspotenzials führen können. Eine große Bedeutung fällt somit der Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte zu.
Die Bedeutung von Migration für das Arbeitskräftepotenzial

Die Relevanz von Migration für den deutschen Arbeitsmarkt und die Gesamtwirtschaft deutet sich bereits seit einiger Zeit an. Seit Beginn des Jahres 2023 wird der Aufbau der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lediglich durch ausländische Staatsangehörige getragen (Abbildung 1). Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausländischer Staatsangehöriger auch im dritten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahresquartal um rund 277 000 Personen (+5,2 Prozent) gestiegen ist, ging die Zahl der Beschäftigten mit deutscher Staatsangehörigkeit im gleichen Zeitraum um etwa 125 000 Personen zurück (−0,5 Prozent).

Um die Bedeutung von Migration für das Produktionspotenzial der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren näher zu untersuchen, werden im Folgenden drei verschiedene Szenarien miteinander verglichen, die sich lediglich anhand der unterstellten jährlichen Nettomigration unterscheiden. Das Basisszenario der Potenzialschätzung für 2024 bis 2029, mit dem Ergebnis einer Potenzialwachstumsrate von 0,4 Prozent, basiert auf einem jährlichen Wanderungssaldo (Zuzüge aus dem Ausland minus Fortzüge in das Ausland) von durchschnittlich 408 000 Personen.infoDies entspricht in etwa der durchschnittlichen Nettomigration im Zeitraum 2016 bis 2019.info Im ersten Alternativszenario wird unterstellt, dass die Nettomigration ab 2025 durchgehend null beträgt. Im Lichte des aktuell deutlich positiven Wanderungssaldos (+663 000 Personen im Jahr 2023) erscheint dies zunächst drastisch, tatsächlich war dieses Szenario im Zeitraum von 2005 bis 2009 in Deutschland Realität.

Eine Nettoeinwanderung von null hätte anhand dieser Schätzungen zur Folge, dass die Anzahl der Erwerbspersoneninfovon derzeit 63,5 Millionen auf weniger als 62 Millionen im Jahr 2029 schrumpfen würde (Abbildung 2). Ohne Migration überwiegt der annahmegemäß deutlich negative Saldo zwischen Geburten und Todesfällen.infoEin geringer Anstieg der Partizipationsquote, der durch die im Vergleich zu Einheimischen niedrigere Partizipationsquote der Migranten bedingt wäre, könnte den Rückgang des Arbeitsvolumens nur geringfügig kompensieren. Letztlich würde die Wachstumsrate des Potenzials rasch auf null sinken.

Im zweiten Alternativszenario wird daher untersucht, wie hoch die Nettoeinwanderung sein müsste, damit die Potenzialrate bis zum Ende der Mittelfrist (hier 2029) wieder zu ihrem langfristigen Mittelwert von 1,1 Prozent (der Durchschnitt über den Zeitraum von 2004 bis 2023) zurückkehrt. Dabei wird angenommen, dass der Verlauf aller anderen Komponenten des Arbeitsvolumens (Partizipationsquote, Arbeitszeit und Erwerbslosenquote) dem des Basisszenarios entspricht. Laut Ergebnissen dieser Simulation müsste die Anzahl der Erwerbspersonen bis 2029 um insgesamt 1,5 Millionen steigen (Abbildung 3). Insofern der Anteil der Personen im Erwerbsalter bei den Migrant*innen rund 75 Prozent beträgt, würde dies einen Anstieg der Gesamtbevölkerung durch Einwanderung um rund zwei Millionen bedeuten.

Fazit: Politische Maßnahmen zur Gewinnung und Integration von ausländischen Arbeitskräften erforderlich

Die vorliegende Untersuchung verdeutlicht, wie entscheidend die Bewältigung des Arbeits- und Fachkräftemangels für die Stabilisierung des deutschen Produktionspotenzials ist. Die Integration ausländischer Arbeitskräfte wird angesichts der demografischen Entwicklung, insbesondere des Wegfalls der Arbeitskraft der Babyboomer-Generation, zunehmend zur Schlüsselstrategie.

Aufgrund der Relevanz der Migration für den deutschen Arbeitsmarkt wurden in der Vergangenheit bereits einige Politikmaßnahmen zur Stützung der Erwerbsmigration verabschiedet. Hierunter fällt zuvorderst das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. In erster Form verabschiedet im Jahr 2019, wurde es im Jahr 2023 noch einmal grundlegend erweitert, mit dem Ziel, qualifizierten Arbeitnehmer*innen aus Nicht-EU-Staaten den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern. Da die Maßnahmen teilweise erst im Jahresverlauf 2024 in Kraft getreten sind, ist es aktuell noch nicht möglich, die Wirkung der Gesetzesausweitung zu evaluieren. Zudem wird die Auswertung der Ursprungsregelung durch die weltweite Disruption von Migrationsströmen durch die Covid-19-Pandemie erschwert. Befragungen qualifizierter Fachkräfte aus Drittstaaten mit einem bekundeten Interesse an Erwerbsmigration nach Deutschland deuten darauf hin, dass die Überarbeitung des Gesetzes zwar positiv aufgenommen wird, allerdings nur einem Drittel der Teilnehmenden bekannt ist.info Neben bürokratischen Hürden wie die Visaerteilung und Probleme bei der Anerkennung des Abschlusses geben Befragte vor allem fehlende Unterstützung bei der Arbeitssuche aus dem Ausland und dem Erlernen der deutschen Sprache als Hinderungsgrund für die Erwerbsaufnahme in Deutschland an. Auch unternehmensseitig zeigen Befragungen des Betriebspanels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass nach wie vor Schwierigkeiten, Qualifikationen richtig einzuschätzen, sowie bürokratische und rechtliche Hürden die aktive Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland erschweren.info

Weiteren Handlungsbedarf gibt es nicht nur bei der Rekrutierung von Fachkräften im Ausland. Auch Befragungen von Erwerbsmigrant*innen, die den Weg nach Deutschland bereits gefunden haben, fördern Missstände zutage: Insbesondere berichten 56 Prozent der Befragten von Diskriminierung, insbesondere bei der Wohnungssuche und im Alltag. Zudem wird als eine Hürde auch mangelnde Unterstützung bei der Jobsuche des Partners oder der Partnerin genannt.infoDiese Erfahrungen führen wohl oft dazu, dass dem deutschen Arbeitsmarkt der Rücken gekehrt wird. So betrug die Anzahl der Personen aus der Europäischen Union und dem Rest der Welt ohne Asylherkunftsländerinfo, die sich entscheiden, Deutschland wieder zu verlassen, im Zeitraum von 2015 bis 2023 im Durchschnitt 838 000 pro Jahr.infoDer Abbau der genannten Hürden bietet daher eine große Chance, die Erwerbsmigration zu vereinfachen und damit attraktiver zu machen sowie die Abwanderung von Erwerbsmigrant*innen aufzuhalten.

Während Erwerbsmigrant*innen bereits nach kurzer Zeit eine ähnliche oder sogar höhere Arbeitsmarktnähe als Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit aufweisen, gilt es ebenso, das Potenzial der sich bereits in Deutschland befindenden Nicht-Erwerbsmigrant*innen zu heben. So erreicht die Erwerbspartizipationsquote von Geflüchteten erst deutlich später das Niveau der Erwerbsmigrant*innen.infoGeflüchtete sind besonderen rechtlichen und institutionellen Barrieren, wie einem temporären Beschäftigungsverbot und einer Ungewissheit über den künftigen Aufenthaltsstatus während der Asylverfahren, ausgesetzt.info Die Verkürzung der Dauer der Asylverfahren, die im Jahr 2024 durchschnittlich 8,7 Monate betrug,infowäre daher eine wichtige Maßnahme, die die Unsicherheiten für betroffene Personen und mögliche Arbeitgeber schneller abbauen und eine zügigere Arbeitsaufnahme ermöglichen würde. Im Vergleich zu Erwerbsmigrant*innen können sich Geflüchtete zudem kaum auf die Einwanderung vorbereiten und verfügen daher seltener über Deutschkenntnisse. Das Angebot von Sprachkursen spielt für diese Personengruppe daher bei ihrer frühen Integration eine wichtige Rolle.info

Neben einer bürokratieärmeren Anerkennung von Abschlüssen ist auch die Weiterqualifizierung von Migrant*innen essenziell. Laut einer aktuellen Qualifikations- und Berufsprojektion (QuBE-Projekt) wird die Arbeitsnachfrage nach geringfügig qualifizierten Personen im Helfertätigkeitssegment in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen.infoDer Anteil der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die Helfertätigkeiten ausüben, liegt aktuell jedoch bei 37 Prozent, im Vergleich zu nur 17 Prozent in der Gesamtbevölkerung.infoDaher sollte die Politik ein Augenmerk darauf richten, dass es hier nicht zu einem größeren Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt kommt. Das erwartete Anforderungsprofil der Arbeitsstellen sollte bestenfalls mit dem angebotenen Fähigkeitsset der Einwander*innen übereinstimmen oder durch frühzeitige und gezielte Weiterbildungsangebote in Einklang gebracht werden. Zudem ist es wichtig, nicht nur Gesetze zu beschließen, die Migration erleichtern und Partizipation und Qualifikation vorantreiben sollen, sondern auch durch Digitalisierung und ausreichende Personalausstattung ihre Umsetzung zu ermöglichen.

PM: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.Verein

PB: DIW-Vereins Berechnungen: Mehr Migration könnte Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft deutlich erhöhen








Top