Werbung




Wenn Sanierung Geschichte schreibt – über den emotionalen Wert nachhaltiger Gebäude

PB: ©: Dmitri Berdnikow
Hinweis: Die Bildrechte zu den Beitragsfotos finden Sie am Ende des Artikels

Warum energetische Modernisierung mehr ist als Technik und trotzdem nüchtern gerechnet werden kann

  • Autor: Dmitri Berdnikow

(WK-intern) – Energetische Sanierungen werden häufig als rein technisches Projekt verhandelt: U-Werte, Anlagentechnik, Förderkulissen, Amortisationsrechnungen.

In der Praxis entscheidet aber oft etwas anderes darüber, ob Sanierung überhaupt stattfindet und ob sie als „gelungen“ wahrgenommen wird: Nutzungsqualität, Schadensvermeidung, Werthaltigkeit und die Passung zum Gebäude.

Das ist keine Romantik, sondern ein realistischer Blick auf Entscheidungsprozesse im Bestand.

Warum das Thema systemisch relevant ist

In Deutschland lag der gebäuderelevante Endenergieverbrauch 2023 bei 792 TWh und damit bei 34,9% des gesamten Endenergieverbrauchs. In der EU verursachte der Gebäudesektor 2023 33% der energiebezogenen Treibhausgasemissionen. International betrachtet steht der Gebäudesektor für über ein Drittel des globalen Energieverbrauchs und der Emissionen.

Für ein Energiesystem mit wachsendem Anteil fluktuierender Erzeugung (Wind und PV) ist das relevant, weil Wärme – und damit der Gebäudezustand – die Größenordnung der Last bestimmt. Je geringer der Wärmebedarf, desto besser lassen sich Elektrifizierung (z. B. Wärmepumpen) und Netzausbau pragmatisch miteinander vereinbaren. Das ist kein „grünes“ Argument, sondern eine Frage von Infrastrukturkosten, Spitzenlasten und Versorgungssicherheit.

Der unterschätzte Kern: „Non-Energy Benefits“ als echter Entscheidungsgrund

Viele Eigentümer entscheiden nicht primär wegen eingesparter Kilowattstunden. Häufige Auslöser sind Instandhaltung (Dach/Fassade), Heizungserneuerung oder Nutzungsänderungen. Die energetische Verbesserung wird dann sinnvollerweise in diese ohnehin anstehenden Eingriffe integriert.

Dabei treten Effekte in den Vordergrund, die im Energieausweis nur indirekt sichtbar sind:

  • Thermischer Komfort: weniger Zugluft, höhere Oberflächentemperaturen, stabilere Raumtemperaturen.
  • Bauschadensrisiko: bessere Feuchteführung, weniger Kondensationsprobleme (bei richtiger Detailplanung), geringere Schimmelwahrscheinlichkeit.
  • Betriebsrobustheit: geringere Abhängigkeit von einzelnen Energieträgern und Preisvolatilität.
  • Werthaltigkeit: bessere Vermietbarkeit/Verkäuflichkeit, niedrigere Modernisierungsrisiken, oft bessere Finanzierbarkeit.

Diese Aspekte sind nur insofern „emotional“, als sie Alltag und Risiko betreffen. In der Entscheidungspraxis sind sie häufig gewichtiger als eine idealisierte Wirtschaftlichkeitsrechnung, die Kostenentwicklung, Nutzerverhalten und Bauzustand nur grob abbildet.

Gebäude mit Geschichte: Der kulturelle Faktor ist ein Technikkriterium

Bei älteren Gebäuden (insbesondere regionaltypischem Bestand oder denkmalnahen Objekten) kommt ein zusätzlicher Parameter hinzu: Akzeptanz. Sanierung wird eher umgesetzt, wenn das Ergebnis als „passend“ empfunden wird, also wenn Proportionen, Fassadenbild, Dachform oder Fensterteilung nicht beliebig verändert werden.

Das ist allerdings keine Einladung zu kosmetischen Teillösungen. Gerade bei historisch geprägtem Bestand ist der technische Anspruch höher, weil bauphysikalische Randbedingungen (Feuchtepufferung, Kapillarität, Wärmebrücken, Luftdichtheit) sensibler reagieren. Die zentrale Regel lautet deshalb:

„Charakter erhalten“ funktioniert nur mit konsequenter Detailplanung.
Typische Fehler entstehen nicht aus „zu viel Effizienz“, sondern aus inkonsistenten Maßnahmen: neue Fenster ohne Anschlusskonzept, Dämmung ohne Feuchte- und Lüftungslogik, oder Technikwechsel ohne passenden Wärmebedarf.

Praxisprinzipien, die Sanierung planbar machen

Wer Sanierung seriös betrachtet, landet schnell bei vier Grundsätzen:

1) Reihenfolge vor Einzelmaßnahme

Sanierung ist eine Abfolge, keine Einkaufsliste. Häufig ist die Gebäudehülle (oder zumindest die schadensgetriebene Instandsetzung) der Taktgeber – nicht die Anlagentechnik. Technik kann viel, aber nicht alles kompensieren.

2) Qualitätssicherung ist kein Luxus

Viele Probleme im Bestand entstehen an Anschlüssen, Durchdringungen, Übergängen (Fensterlaibung, Decke/Wand, Dachanschluss). Wer die Ausführung nicht prüft, prüft am Ende den Schaden. Dokumentation, Stichprobenmessungen und klare Verantwortlichkeiten sind preislich oft klein gegenüber dem Risiko.

3) Förder- und Regulatoriklogik früh klären

Die EU-Gebäuderichtlinie (EPBD Recast) ist seit Mai 2024 als Richtlinie (EU) 2024/1275 veröffentlicht und bildet den Rahmen für nationale Umsetzungen. Das bedeutet: Anforderungen, Nachweissysteme und Dateninfrastruktur (Ausweise, Datenbanken, Renovierungspläne) werden in den kommenden Jahren eher zunehmen als abnehmen. Für Eigentümer ist das kein politisches Statement, sondern Planungsrealität: Wer ohnehin Maßnahmen anfasst, sollte sie so strukturieren, dass sie auch unter zukünftigen Regeln tragfähig bleiben.

4) Transparente Zieldefinition statt Ideologie

Ein nüchterner Sanierungsplan beginnt mit der Frage: Was soll das Gebäude leisten?

  • Komfortziel (Temperaturstabilität, Zugluftfreiheit)
  • Schadensziel (Feuchte/Schimmel vermeiden)
  • Kosten-/Risikoziel (Betriebskostenrobustheit, Wartbarkeit)
  • Gestaltungsziel (Substanz und Erscheinungsbild)

Erst danach folgt die Technik.

Einordnung für die Energiewende: Windstrom braucht „verbrauchsfähige“ Gebäude

Für die Integration hoher Windanteile ist nicht nur Erzeugung entscheidend, sondern auch die Verbrauchsseite:

  • Effiziente Gebäude senken die Winterspitzen – genau dann, wenn Wärmebedarf und Stromlast zusammenfallen.
  • Wärmepumpen arbeiten in guten Gebäuden effizienter (niedrigere Vorlauftemperaturen, längere Laufzeiten, weniger Taktung).
  • Flexibilität wird nutzbar, wenn Temperaturträgheit und Speicher (thermisch oder elektrisch) nicht ständig gegen einen hohen Grundbedarf ankämpfen müssen.

Das ist der Punkt, an dem „Sanierung“ für ein Windkraft-Publikum mehr wird als Gebäudetechnik: Sie wirkt als Systemhebel, weil sie Last reduziert und Steuerbarkeit verbessert – mit unmittelbaren Konsequenzen für Netzausbau, Betriebskosten und Resilienz.

Fazit

Energetische Sanierung ist kein Kulturkampf zwischen „alt“ und „neu“ und auch kein reines CO₂-Narrativ. In der Praxis ist sie vor allem Bestandsmanagement: Risiko senken, Nutzungsqualität erhöhen, Wert sichern und das Gebäude auf eine zunehmend elektrifizierte Energieversorgung vorbereiten.

Wenn Sanierung „Geschichte schreibt“, dann nicht, weil Gebäude sentimental wären, sondern weil Entscheidungen im Bestand langfristig wirken – technisch, wirtschaftlich und in der Akzeptanz. Genau deshalb lohnt ein nüchterner Blick auf die Faktoren jenseits der Kilowattstunde: Sie entscheiden häufig darüber, ob aus einem Sanierungsvorhaben ein belastbares Ergebnis wird oder ein teures Provisorium.

PM: Dmitri Berdnikow / energiekonzeptplus

Kurzinfos zum Autor Dmitri Berdnikow:

Dmitri Berdnikow ist seit fast drei Jahrzehnten im Bauwesen tätig und verfügt über umfassende Erfahrung in der Planung und Realisierung von Großprojekten im In- und Ausland. Nach Stationen bei der TU München und der STRABAG in Wien, wo er als Schnittstelle zwischen internationalen Projektpartnern und Behörden agierte, machte er sich 2017 selbstständig und übernahm Verantwortung in komplexen Schulbauprojekten. Heute ist er als Energieeffizienzexperte und Gebäudeenergieberater tätig und verbindet technisches Know-how mit einem ganzheitlichen Blick auf nachhaltiges Bauen. Dabei legt er besonderen Wert auf zukunftsorientierte Lösungen, die Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und ökologische Verantwortung vereinen. Kontakt: https://energiekonzeptplus.de

PB: ©: Dmitri Berdnikow








Top